Xxi. §. 4. Weitere Erhebung der Päpste durch den zweiten Kreuzzug. Z97
sen hatte, 1124 gestorben war und sein Nachfolger Honorius Ii.
ihm 1130 im Tode folgte, geschah in Rom eine zwiespältige Papst-
wahl. Innocenz 1!. wurde gewählt, aber von einer andern Par-
tei der Cardinäle ward Anaclet Ii. auf den päpstlichen Stuhl ge-
hoben, und dieser letzte schien die Oberhand zu gewinnen. Denn er
behauptete sich in Rom, gewann die Normannen in Unter-Italien für
sich, und zwang seinen Gegner, Stadt und Land zu verlassen. Aber
alle anderen Fürsten und Völker erkannten Innocenz als rechtmä-
ßigen Papst an. Kaiser Lothar selber führte ihn 1136 siegreich
wieder nach Rom zurück, und als 1138 Anaclet Ii. starb, schien
die Alleinherrschaft seines Gegners gesichert. Da erhub sich für ihn
eine andere Gefahr. Schon seit längerer Zeit hatten sich besonders
in Ober-Italien unter der jüngern Geistlichkeit und dem Volke Grund-
sätze verbreitet, die dem weltlichen Streben des Papstes und der Bi-
schöfe durchaus zuwiderliefen. Der warme und begeisterte junge
Priester Arnold von Brescia, der freilich die geschichtliche Ent-
wicklung der damaligen Zustände nicht zu beurtheilen vermochte, pre-
digte von Stadt zu Stadt: daß die Geistlichen durchaus kein weltli-
ches Besttzthum haben und mit allen bürgerlichen und politischen
Dingen unverworren bleiben müßten. Das Volk jauchzte ihm zu,
und die Römer in ihrem unruhigen und unklaren Freiheitsschwindel
machten sogleich die praktische Anwendung. Sie erklärten dem Papst
Innocenz Ii.: daß er mit der bürgerlichen Verwaltung der Stadt
nichts mehr zu schaffen habe, setzten einen Senat ein und wollten den
Papst nur noch als kirchliches Oberhaupt anerkennen. Innocenz
starb, ohne Etwas gegen die Empörer ausrichten zu können. Sein
Nachfolger Cölestin Ii. (1143—44) mußte nachgeben, Lucius Ii.,
der es nicht wollte, wurde im Aufruhr durch einen Steinwurf getöd-
tet (1145) und Eugen Iii. (1145—1153) sah sich genöthigt, den
Schauplatz solcher Demüthigungen zu verlassen und nach Frankreich
zu fliehen. Aber gerade jetzt erscholl aus Palästina, aus dem König-
reich Jerusalem die Nachricht von großen Bedrängnissen der Christen,
von neuen Siegen der Saracenen, von der Zerstörung der christlichen
Stadt Edessa, und augenblicklich flammte das Feuer der Begeisterung
neu auf in der Christenheit. Auf des Papstes Ruf und unter seiner
obersten Leitung sammelten sich auf's Neue die frommen und thaten-
durstigen Schaaren; aber nicht bloß, wie zu Urban's Zeiten, Für-
sten zweiten Ranges, sondern diesmal standen Könige an der Spitze
des Unternehmens. König Konrad Iii. von Deutschland (1137 —
52) und König Ludwig Vii. von Frankreich (1137 — 80) folgten
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Extrahierte Personennamen: Honorius_Ii Honorius Innocenz Innocenz Innocenz Innocenz Lothar Arnold_von_Brescia Innocenz_Ii Innocenz Innocenz Innocenz Lucius Eugen_Iii Eugen Konrad_Iii Konrad Ludwig_Vii Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Rom Rom Rom Ober-Italien Frankreich Palästina Edessa Deutschland Frankreich
402 Xxi. §. 6. Neue Siege der Päpste über Kaiser Friedrich I. rc.
können, so mochte man sagen, es sei das nur durch die eigne Schuld
der Fürsten möglich gemacht, durch ihre Unsittlichkeit, ihre Frevel,
ihre Unklugheit, ihre Untüchtigkeit, durch die Gunst der Zeitumstände,
die Unmündigkeit der Herrschern, s. w. Jetzt aber sollte sich's zeigen,
daß die Idee, für welche die Päpste kämpften, die geistliche Welt-
monarchie, wirklich so tiefe Wurzeln in der Zeitentwicklung und in den
Völkern habe, daß es selbst einer Reihe der gewaltigsten, consequen-
testen, ruhmreichsten Kaiser, die je auf dem deutschen Thron gesessen
haben, nicht gelingen konnte, sich mit den Waffen weltlicher Macht
und Klugheit den Päpsten gegenüber zu behaupten. Wir sind einge-
treten in die wunderbar herrliche Zeit der höchsten Entfaltung des
deutsch-mittelalterlichen Volkslebens, in die Zeit der hochgepriesenen
hohenstaufischen Kaiser. Alles, was von dem Wohlstand, der Bildung,
dem künstlerischen Schaffen und allgemeinen Lebensgenuß, den pracht-
vollen Bauten, den schwelgerischen Hofhaltungen, den glänzenden Tur-
nieren und aller sonstigen Pracht des Ritterwesens und der Lieblichkeit
des Minnesanges uns erzählt wird oder noch heute erhalten ist,
drängt sich vorzugsweise in dies Jahrhundert zusammen, wo die drei
großen Hohenstaufen Friedrich I. und Ii. und zwischen ihnen Hein-
rich Vi. auf dem deutschen Kaiserthron saßen. Alle drei bekämpften
sie nach einem festen Plane, mit unermüdeter Beharrlichkeit, mit
eben so viel Klugheit als Kühnheit die päpstliche Macht, die sich
über sie erheben wollte und erhoben hatte. Aber sie unterlagen —
unterlagen so vollständig, so jammervoll, daß nie ein großartigeres
Trauerspiel einen thränenreichern Ausgang genommen hat. Schon
gleich Friedrich I. Barbarossa (1132 — 80), der hochbegabte,
fromme und mannhafte Kaiser, voll hochstrebender Plane und un-
überwindlicher Tapferkeit, mußte nach langwierigem harten Streit sich
demüthigen vor den Päpsten. Mit kriegerischem Glanz und großen
Entwürfen zog Friedrich I. zum ersten Male 1154 über die Alpen
nach Italien. Dort in der Lombardei, wo man die Herrschaft und
die Gerechtsame der deutschen Kaiser schon fast vergessen hatte oder
verachtete, wo die Unzahl reicher und mächtiger Städte, voll Ueber-
fluß und Wohllebens, die kaiserlichen Befehle und Beamten hoffartig
verwarfen, sollte die Kaiserhoheit in neuem Glanz erstehen, alle Wi-
derspenstige unterdrückt und ein sicheres und gehorsames Reich ge-
gründet werden. War doch des Kaisers Friedrich Wort und Ent-
scheidung von den Königen in Dänemark wie in Ungarn, von den
Herzogen in Polen und den Erzgrafen in Burgund gefürchtet, ehrten
ihn doch die Könige von England und Frankreich durch höfliche
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Xxi. §. 6. Neue Siege der Päpste über Kaiser Friedrich I. ,c. 403
Worte und Geschenke, wie hätten nicht die vereinzelten Städte Ita-
liens vor seiner Macht gar bald sich beugen sollen. Und schon viel
weiter ging der Flug seiner hohen Gedanken. Er, der Kaiser, wollte
selbst die große Weltmonarchie begründen, in der die Papste bereits
zu herrschen meinten, und die Päpste sollten ihm selber dabei be-
hülflich sein. Aber hier sogleich zeigte sich die Unvereinbarkeit der
kaiserlichen und der päpstlichen Herrschaft. Papst Hadrian Iv.
(1154—59), der soeben den Stuhl zu Rom bestiegen hatte, ließ
sich zwar herbei, den gewaltigen deutschen Kriegsherrn zu krönen und
zu salben. Aber gar bald gerieth er mit ihm in offenen Hader,
Friedrich wollte sich die wiederholten Demüthigungen vom Papst
nicht gefallen lassen; der Papst wollte die erneuten Ansprüche und
Eingriffe des Kaisers in die päpstlichen Rechte nicht dulden; er war
entschlossen, ihn in den Bann zu thun, als der Tod ihn hinwegraffte
(1059). Jetzt erfolgte eine zwiespältige Papstwahl. Die kaiserliche
Partei unter den römischen Cardinälen wählte Victor Iv. und
nach dessen Tode noch zwei andere. Aber alle drei Päpste konnten
außer am kaiserlichen Hofe nirgend Anerkennung gewinnen. Dage-
gen der von der streng kirchlichen Partei gewählte Alexander 111.
(1159— 1181), obgleich er anfangs vor dem mächtigen Kaiser aus
Rom entweichen und nach Frankreich flüchten mußte, gewann doch
allmälig die volle päpstliche Gewalt, kehrte nach Rom zurück, ver-
bündete sich mit den unruhigen, freiheitssüchtigen Städten Nord-Ita-
liens, namentlich dem stolzen und rachsüchtigen Mailand, und durch
die unglückliche Schlacht bei Legnano (1176) ward der hochftrebende
Hohenstaufe so geschwächt, daß er sich wirklich bequemen mußte,
seinen Frieden mit dem Papst zu suchen. Demüthig mußte er in
Venedig sich vor ihm einfinden, ihm alle herkömmliche Ehrfurcht er-
weisen, alle bisherigen Beschwerden abstellen und die Unabhängigkeit,
ja die Obmacht des päpstlichen Richters anerkennen.
So hatte der ruhmreiche Kaiser, dem bisher uoch alle seine Un-
ternehmungen, jene eine unglückliche Schlacht ausgenommen, gelungen
waren, der in der Fülle seiner Macht, umgeben von seinen kriegerischen
Vasallen dem Papst gegenüberstand, sich — nicht in einer plötzlichen
Ueberraschung oder Anwandlung von Schwäche, sondern nach reifster
Ucberlegung und in dem klarsten Bewußtsein über seine Lage, nach
achtzehnjährigem Kampf endlich doch dem Papste unterwerfen müssen.
Welch anders irdische Hoheit konnte noch Widerstand wagen, wenn
das Haupt der Christenheit sich also beugen mußte. Man mochte ja
sagen: daß nur der Kampf mit den lombardischen Städten, in den der
Kaiser sich unweislich und ungerecht verwickelt hatte, und der gleich-
zeitige Abfall des mächtigen Sachseuherzogs Heinrich's des Löwen
26*
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_I. Hadrian Friedrich Friedrich Alexander
Extrahierte Ortsnamen: Rom Rom Frankreich Rom Mailand Venedig Sachseuherzogs
Xxii. §. 6. Erstes Hervvrtreten Frankreichs als Feind und Dränger rc. 443
nackte Eigennutz, die selbstsüchtige Vereinzelung, kühle Berechnung, ver-
standesmäßige Abwägung des Maßes der zu gewährenden Freiheiten und
Wohlthaten — vergebens sehnt man sich nach einem warmen Hauch
der gegenseitigen Liebe und anhänglichen Vertrauens. Von Frank-
reich ist die neuere kalte, selbstsüchtige, herzlose Staatskunst ausgegan-
gen, und Philipp Iv. war ihr Vater. Er zuerst hatte ein Christen-
reich losgelöst aus dem großen Verbände der ganzen Christenheit, nur
dieses einigen Landes und seines Beherrschers Vortheil gesucht, unbe-
kümmert um das Wohl und Wehe der gesammten übrigen Welt oder
um die höheren sittlichen Güter der eignen Unterthanen. Mit schnel-
len Schritten begann Frankreich der traurigen Rolle zuzueilen, den
westlichen Staaten Europa's ein Führer zu werden zum Unglauben, zur
Politik der Selbstsucht, zur Sittenlosigkeit, zum Abfall von Allem, was
heilig und ehrwürdig ist. Es lagen zwar noch Zeiten schwerer Demü-
thigung für Frankreich selber dazwischen, aber Philipp Iv. hat das
Ziel klar genug für seine Nachfolger gewiesen, und sie haben seine Wei-
sungen später wohl begriffen und angenommen.
§. 6. Erstes Hervortreten Frankreichs als Feind und
Dränger Deutschlands.
Schon Philipp Iv. hatte die Gelegenheit benutzt, und während
die Deutschen wieder durch innere Zerwürfnisse behindert waren, das
Gebiet von Lyon, welches den Lehenrechten nach zum deutschen Reiche
gehörte, an sich gerissen und damit den Anfang gemacht aller jener
kleinlichen Veruntreuungen und Beraubungen, durch welche die deut-
schen Grenzen im Laufe der Jahrhunderte von den Ufern der Rhone
bis an die Ufer des obern Rheins zurückgeschoben wurden. Ebenso
machte er es in Flandern und Lothringen. Sodann hatte er den Papst
gedrängt, einem französischen Prinzen, seinem Bruder, nach Albrech t's
Tode die deutsche Königskrone zu verschaffen, und so sehr war da-
mals schon der päpstliche Hof in der Gewalt des Franzosenkönigs,
daß der Papst es gar nicht mehr wagte, die Forderung offen abzu-
schlagen. Nur durch unwürdige List wußte er, den Wünschen des
Königs zuwider, die Wahl auf den tapfern und unternehmenden
Heinrich Vii. aus dem Hause Luremburg zu lenken (1308—1313).
Nach dessen baldigem Tode trat in Deutschland anfangs durch eine
zwiespältige Kaiserwahl (neben Ludwig von Bayern wurde Fried-
rich von Oestreich erwählt), dann nach Fried rieh's Ueberwindung
und Rücktritt durch die Unbeständigkeit, Charakterlosigkeit und das
unweise Benehmen des Kaisers Ludwig eine Zeit ein, welche recht
dazu gemacht schien, um das ganze Elend des päpstlich-französischen
Uebermuths mit voller Wuth auf unser Vaterland fallen zu lassen.
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Extrahierte Personennamen: Philipp_Iv Philipp Philipp_Iv Philipp Philipp_Iv Philipp Heinrich_Vii Heinrich Ludwig_von_Bayern Ludwig Oestreich Fried Ludwig Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Frankreich Frankreich Frankreichs Deutschlands Lyon Rheins Flandern Lothringen Albrech Franzosenkönigs Deutschland
Xxl §. 7. Das Königreich Jerusalem und der dritte Kreuzzug. 403
das Gepränge, nicht die Tapferkeit und Gewalt ist es, welche das
Reich Gottes bringt, sondern die Umwandlung des Sinnes. Im
Königreich Jerusalem, wie hätte es auch anders sein sollen? war
nichts Anderes zu sehen, als die Wiederholung und Fortsetzung ganz
desselben sündlichen Lebens und Wesens, was in der abendländischen
Christenheit vor Augen lag. Ja, es war dort noch viel schlimmer.
Das südliche Klima, die asiatische Weichlichkeit und Genußsucht hatte
schnell auf die roheren und kräftigen Söhne des Nordens entnervend
und entsittlichend eingewirkt. Das heilige Land war ein Tummel-
platz der gemeinsten fleischlichen Lüfte geworden. Auf dem neuerrich-
teten stolzen Kirchenthron des Patriarchen von Jerusalem, bald auch
auf dem königlichen Stuhle der Hcrrscherfamilie, in Jerusalem wie
in Edeffa, Tyrus, Tripolis und Antiochien hatten Lasterhaftigkeit,
Lüge, Niederträchtigkeit aller Art ihren weithin sichtbaren Sitz aufge-
schlagen. Ueppige Wollust, schlaffe Trägheit, schändlicher Geiz,
unbändige Herrschsucht, das sind die Züge, welche die ganze dama-
lige Einwohnerschaft des heiligen Landes zur Schau trug. Selbst
ein christlicher Zeitgenosse schildert sie als Ungeheuer von Lastern,
deren Verworfenheit Niemand in ihrer ganzen Nacktheit für möglich
halten würde. Diesem verfaulten Christenstaat gegenüber hatte der
Herr eben jetzt einige der edelsten Erscheinungen des natürlichen
Menschen gestellt, nämlich ein Paar Mohamedaner, die nicht so sehr
von dem antichristischen Gift, alö von dem Rest des Gottcsodems,
der auch in dem jämmerlichen Trugwerk des Koran noch zu finden
ist, mit erfrischender Kraft berührt und angehaucht waren. Die bei-
den gerechten, milden, großherzigen Saracenenfürsten Nureddin und
nach ihm der noch größere Sala din traten zur Schande der Chri-
stenheit als Lichter hervor, welche die greuliche Nacht christlicher Ver-
worfenheit um so greller beleuchten. Voll Ekel wandten sich selbst die
gemeinen Saracenen hinweg von den elenden Streitigkeiten der christ-
lichen Fürsten, den noch schändlicheren der Patriarchen und Bischöfe,
die mit schamloser Oeffentlichkeit geführt wurden. Ja Kreuzfahrer,
angesehene Ritter, hochgestellte Geistliche verbanden sich oft genug
mit den Saracenen gegen ihre eignen Glaubensgenossen. Unglaube
und wahnwitziger Aberglaube, Völlerei und Unzucht und die peinlich-
sten Ceremonien des Gottesdienstes wurden in widerlicher Gemein-
schaft zur Schau getragen. Herrschsucht, Habsucht und Genußsucht
waren die Götter, denen Jedermann von Herzen diente. Ein solches
Reich, unter Greueln begonnen, unter Lastern sortgeführt, wie hätte
es bestehen sollen? Durch die Gunst der äußeren Verhältnisse, durch
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Xxii. §. 6. Erstes Hervortreten Frankreichs als Feind und Dränger re. 415
Wir müssen hier noch besonders an zwei wichtige Erwerbungen
deutscher Fürstenhäuser erinnern, welche zwar nur für jene Uebergangs-
zeit gelten sollten und deshalb auch selber vorübergehend waren. Aber
sie bereiteten doch die künftigen bleibenden Zustände vor und dienen zu-
gleich zur Erklärung der Haltung und des Schicksals des Kaisers
Ludwig. Das war nämlich die Erwerbung der böhmischen und mäh-
rischen Lande durch das Haus Luremburg, und der Mark Branden-
burg durch das bayerische Hauö Wittelsbach. Auf Böhmen und
Mähren, sahen wir, hatten schon längere Zeit die östreichischen Habs-
burger gewartet, aber es war ihnen für jetzt noch nicht beschieden. Sie
sollten erst in den neu erworbenen östreichischen Landen tiefer unter
sich wurzeln und sich läutern, ehe ihrer Hand das Größere vertraut
würde. Dagegen konnte Kaiser Heinrich der Luxemburger gleich beim
Antritt seiner Regierung seinen Sohn Johann mit dem böhmischen
Reich belehnen, und so dem luremburgischen Geschlecht eine Hausmacht
in Deutschland gründen, welche es ein ganzes Jahrhundert hindurch
zu einem der mächtigsten und angesehensten Fürstengeschlechter erhob und
lange Zeit auch in Besitz der Kaiserkrone erhielt. Schon jener Jo-
hann, Heinrich's Vii. Sohn, würde ohne Zweifel seinem Vater in der
Kaiserwürde gefolgt sein, wenn er nicht noch unmündig gewesen wäre.
Aber Johann's Sohn, Heinrich's Enkel, war eben jener Carl Iv.,
aus den nach Ludwig's Tode die Kaiserkrone überging (1347) und
bei vessen Geschlechts sie blieb bis 1437. Ludwig der Bayer aber
hatte seine kaiserliche Gewalt nicht minder zur Erweiterung seiner Haus-
macht benutzt. Das ehrenwerthe ballenstädtische Haus, welches seit
Albrecht dem Bär die Markgrafschaft Brandenburg besessen und
tressiich verwaltet hatte, war 1320 ausgestorben, und jetzt hatte der
Kaiser seinen gleichnamigen Sohn Ludwig mit jenen großen und
blühenden Gebieten belehnt — nicht zum Segen der Markgrafschaft.
Während Ludwig's und der späteren bayerischen Markgrafen Verwal-
tung (1324—73) sank das bisher so wohl gepsiegte und fröhlich sich
entwickelnde Land durch die Feindschaft mächtiger Gegner, durch innere
Zwistigkeiten, durch Nachlässigkeit und Untüchtigkeit der Fürsten in eine
traurige Zerrüttung, die später schwer zu heilen war. Wie hätte es
auch anders sein können, da sogar das Oberhaupt der Christenheit,
Papst Johann Xxii., die rohen polnischen Slavenhorden, ja die
heidnischen Lithauer in's Land rief und sie zu allen Verwüstungen,
Greueln und Freveln ermuthigte, nur um dem verhaßten Kaiser Ludwig
und dessen Sohn dem Markgrafen, desto empfindlicher« Schaden zu
thun. Der Kaiser freilich säumte seinerseits auch nicht, dem Papst mit
gleichem Maße zu messen. Aber seine Unternehmungen waren viel zu
gewagt und unbedacht, als daß sie ihren Zweck hätten erreichen kön-
nen. Sie wandten sich vielmehr wider ihn selber zurück. Ungewarnt
durch das Beispiel Heinrich's Vii., der sich der italienischen Kaiser-
herrlichkeit wieder einmal hatte gelüsten lassen und dadurch seinen
frühen Tod herbeigeführt, ging auch Ludwig nach Italien, um den
Papst im Mittelpunkte seiner Macht anzugreifen. Aber nachdem er
sich dort von etlichen gebannten Bischöfen die Kaiserkrone hatte aufsetzen,
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Extrahierte Personennamen: Ludwig Ludwig Heinrich_der_Luxemburger Heinrich Johann Carl_Iv. Ludwig_der_Bayer Ludwig Albrecht Ludwig Ludwig Johann_Xxii Johann Ludwig Ludwig Ludwig Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Haus_Luremburg Hauö_Wittelsbach Deutschland Ludwig's Italien
Xxii. §. 7. Gottes Bußgericht in Deutschland. 447
Gnade schrieen. Wie es schon 100 Jahre früher in Italien und von
dorther auch in Deutschland Sitte geworden war, so vereinigten sich
auch jetzt wieder große Schaaren zu schweren Bußübungen nach der
Weise der damaligen Zeit. Mit entblößtem Rücken und verhülltem
Haupte gingen sie paarweise einher, und schlugen sich selber mit har-
ten Riemen dergestalt, daß das Blut auf den Boden herabfloß. Tau-
sende zogen so aus einer Stadt in die andere, geführt von Geist-
lichen mit Kreuzen und Rauchfässern. Aus den Straßen und in den
Kirchen lagerte die Menge, sich geißelnd, ihre Sünden bekennend,
Litaneien singend und um Erbarmen schreiend. Und wohl mochten
sie Ursache haben, sich also zu demüthigen, denn die Sünden der da-
maligen Zeit waren entsetzlich und schrieen gen Himmel. Wie konnte
es auch anders sein, da so lange kein Kaiser, kein König, keine allge-
mein anerkannte Obrigkeit dagewesen war, welche Recht und Gerech-
tigkeit nachdrücklich hätte handhaben können. Die Geistlichkeit, welche
der Rohheit und Zuchtlosigkeit unter dem Volke hätte wehren und
auf die Verbesserung der sittlichen Zustände hätte hinwirken sollen,
war selbst unglaublich tief gesunken. Die meisten Priester konnten
kaum lesen, lebten in offenbarer Hurerei, und waren Helden im Zechen.
Die Mönchs- und Nonnenklöster waren so voll Liederlichkeit und ge-
meiner Wollust, daß ehrbare Eltern anstanden, ihre Söhne oder Töch-
ter dahinein zu senden. Die Gottesdienste bestanden aus Nichts als
Messelesen und sonstigem tobten äußerlichen Werk. Vom Wort Got-
tes und Predigt war keine Rede. Nur die Bettelmönche und unter
diesen auch nur die Franciscaner, fuhren auch jetzt noch fort, sich seel-
sorgerisch und predigend umherziehend des armen Volkes anzunehmen.
Aber auch die Franciscaner waren in einer ärgerlichen Spaltung be-
griffen. Der größte Theil suchte sich gleich wie die Dominicaner von
dem Joche der Armuth loszumachen und die strengen Regeln des
Franciscus durchbrechend, sich die Genüsse des Reichthums wieder zugäng-
lich zu machen. Die strengere Partei war sogar von dem Papst in
den Bann gethan und in die gleiche Classe gesetzt mit den Brüdern
des gemeinsamen Lebens, den Begharden und anderen freien Vereinen,
welche nach Möglichkeit ein gottesdienstlich apostolisches Christenleben
wiederherstellen wollten und deshalb von der Geistlichkeit der Ketzerei
bezüchtigt wurden.
Fragen wir nun nach den Erfolgen jener schweren Heimsuchungen
Gottes, die jetzt nach 500 Jahren, wenn auch in abgeschwächter Form
wiederzukehren schienen, so müssen wir sagen, sie haben damals wie
jetzt wenig ausgetragen. Denn auch jene Flagellanten oder Buß-
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Extrahierte Personennamen: Franciscus
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Italien Deutschland Gottes
Xxii. §. 8. Die neue Staatskunst der luxemburgischen Kaiser. 440
§.8. Die neue Staatskunst der luremburgischen Kaiser.
Kehren wir aus diesem stillen Kreise auf das Gebiet des öffent-
lichen Lebens und der Völkergeschichte zurück, so begegnet uns da
freilich sogleich wieder der schneidende Luftzug der sich vorbereitenden
neuern Staatskunst, die aller höheren Interessen bar sich lediglich auf
den Eigennutz gründet und über den nächsten in die Augen fallenden
Vortheil der eignen Person und des eignen Landes keine weitere Ver-
pflichtung für die höheren und allgemeineren Angelegenheiten der Chri-
stenheit anerkennen will. Nicht umsonst hatte Kaiser Karl Iv. seine
Erziehung und erste Ausbildung in Frankreich und Italien empfangen.
Durch ihn kamen die französischen Regierungsgrundsätze zuerst nach
Deutschland. Er wie seine Söhne Wenzel und Si egmund, die nach
ihm die Kaiserkrone getragen haben, konnten die französische Charak-
terlosigkeit und Leichtfertigkeit nie verleugnen. Nur trat das welsche
Wesen in verschiedener Weise frei ihnen hervor; bei Karl mehr als
ränkesüchtige Geriebenheit, gewandte Ueberlistung seiner Gegner und
gewissenlose Ausbeutung fremder Treue und Gutmüthigkeit für den
eignen Vortheil. Bei Wenzel dagegen erscheint mehr die franzö-
sische Rohheit, Rücksichtslosigkeit, Grausamkeit, die schändliche
Tyrannei französischer Gewalthaber, und bei Sieg mund die seine
und galante Art des äußern Wesens und die gewinnenden und
bestechenden Manieren in der äußern Erscheinung, verbunden mit
leichtsinniger Flatterhaftigkeit, Oberflächlichkeit und einer mehr ver-
wirrenden als heilbringenden äußerlichen Geschäftigkeit. Von ihren
Verpflichtungen für das deutsche Reich und für die gesammte Chri-
stenheit hatten sie keinen Begriff oder wollten sich solcher Bürde,
wenn sie nicht zugleich Vortheil und Ehre brachte, nicht unterziehen.
Somit überließen sie das Reich sich selber und sorgten nur für ihre
Erbländer. So viel neue Noth und Verwirrung dieses abermalige
Zurücktreten der Kaisergewalt über Deutschland brachte, so muß man
doch sagen, es war für die Deutschen ein Glück und ein nicht ge-
nug zu preisender Rathschluß göttlichen Wohlgefallens, daß sie nicht
bloß von der päpstlichen Knechtschaft, sondern auch von der kaiserlichen
Vormundschaft gerade zu der Zeit befreit wurden, da sie alle Bildungs-
mittel und Hülfen zu einer freien und selbständigen Entwicklung in
reichem Maße empfangen hatten. Welch ein jammervoller Zustand,
wenn auch das deutsche Volk unter ein ähnliches Joch gerathen wäre,
wie die welschen Völker, insonderheit die Franzosen; wenn solche De-
spoten, wie der halbfranzösische Wenzel einer war, die Deutschen in
v. Rohden, Leitfaden. 29
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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Extrahierte Personennamen: Karl_Iv Karl Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Chri- Frankreich Italien Deutschland Deutschland
412 Xxi. §. 9. Innocenz Hi. oder die vollste Entfaltung rc.
senden hohenstaufischen Friedrich Ii., aus Sicilien über die Alpen
führen und auf den Kaiserthron zu Aachen setzen konnte. Nicht min-
der hatte der Herr in allen übrigen europäischen Staaten die Ver-
hältniffe so geordnet, und solche Fürsten bestellt, daß des Papstes
Obergewalt sich überall volle Geltung verschaffen konnte. Die Kö-
nige von Portugal, von Aragon, von England geriethen in die tiefste
Abhängigkeit von Rom und mußten Zins zahlen; die Könige von
Castilien (Leon) und Frankreich mußten ihre Ehen trennen oder wie-
derherstellen nach seiner Entscheidung, in Norwegen und Schweden,
in Polen und Ungarn entschied der Papst die Thronstreitigkeiten nach
seinem Willen; die Fürsten von Dalmatien und Bulgarien empfingen
ihre Kronen, der Erzbischof von Armenien das Pallium aus seinen
Händen. Das ganze griechische Reich ward dem päpstlichen Einfluß
geöffnet, und die bisher noch heidnischen Ostseeprovinzen dem christli-
chen Scepter des Papstes unterworfen (vgl. d. folg. §.).
Fragen wir nun, wie hat denn dieser Innocenz seine unver-
gleichliche Macht, seine Gott vertretende Würde benutzt, was hat er
gewirkt und ausgerichtet, so müssen wir anerkennen, daß er nicht bloß
überall ein edles Streben, zu bessern, zu helfen, zu beruhigen und in
die rechte Bahn zu lenken, an den Tag gelegt hat, sondern daß ihm
auch Vieles und Großes gelungen ist. Wie billig, hat er den Anfang
gemacht am eignen Hofe, in seiner unmittelbaren Umgebung. Wie
viel Uebelstände, wie viel Erpressungen, wie viel Bestechung und Unge-
rechtigkeit, wie viel Lurus und schwelgerische Ueppigkeit, wie viel Ueber-
muth hatte sich am Hofe St. Peter's eingeschlichen! Unnachsichtig
fegte Innocenz, so weit sein Auge reichte, allen diesen lang verjährten
Schmutz aus und stellte Einfachheit, Gerechtigkeit, Zucht und Ord-
nung in Rom wieder her. Und so that er durch alle Länder unter
der ganzen Geistlichkeit. Es ist unglaublich, welches Heer von Klagen
über den Weltsinn, die Ungerechtigkeit, die Sittenlosigkeit, ja die Laster
und Verbrechen der Geistlichkeit aus fast allen Ländern erhoben wur-
den. Ruhig und milde, aber mit unbeugsamem Nachdruck wußte auch
da Innocenz überall durchzugreifen, und wo irgend eine begründete
Klage zu seinen Ohren kam, hat es gewiß nicht an ihm gefehlt, wenn
sie nicht abgestellt wurde. Er sorgte für gehörige Beaufsichtigung der
niedern Geistlichkeit und der Mönche, für Unterricht des Volkes,
wirkte dem immer weiter um sich greifenden Aberglauben und Reli-
quiendienst entgegen und traf zweckmäßige Maßregeln gegen die Her-
umtreiber, welche unter dem Vorwand großer Heiligkeit sich den La-
sten und Pflichten des bürgerlichen Standes entzogen. Auch das muß
man anerkennen, daß er die wilden Lüste und ungeordneten Leiden-
schaften der Könige von Frankreich und England (in Frankreich hatte
Philipp August seine rechtmäßige Gemahlin schmählich verstoßen,
in England wüthete Richard's Nachfolger, der launenhafte Jo Hann,
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Extrahierte Personennamen: Innocenz_Hi Innocenz Friedrich_Ii Friedrich Innocenz Innocenz Innocenz Innocenz Innocenz Innocenz Philipp Philipp August
Extrahierte Ortsnamen: Sicilien Aachen Portugal Aragon England Rom Frankreich Norwegen Schweden Polen Ungarn Dalmatien Bulgarien Armenien Rom Frankreich England Frankreich England
414 Xxi. §. 10. Ausbreitung der Pavftherrschaft über Griechenland rc.
hen schon, daß bei dem allgemeinen Umsturz der Reiche des Alter-
thums und dem Emporkommen neuer kräftiger aber roher Völker nur
dies eine Stück des alten Römerreichs, das griechischereich oder eigentlich
nur daö europäische Griechenland und die Hauptstadt Constantinopel
stehen geblieben war und stehen bleiben sollte, um die hochgelehrte und
künstlerische Bildung, die Summe der geistigen Errungenschaft des
Alterthums für eine spätere Zeit aufzubewahren, wo sie der weiter
geförderten abendländischen Christenheit zu Gute kommen sollte. Zu
diesem Amt des Aufbewahrens eignete sich aber das griechische Kai-
serreich um so mehr, da es in eine völlige Erstarrung gerathen war,
ohne alle Fähigkeit, sich weiter zu entwickeln und etwas Neues zu
schaffen. Wie jetzt die Klugheit und Gelecktheit der Chinesen, so
war auch die damalige griechische Herrlichkeit nichts Anderes als ein
zähes Festhalten alter Formen und Gewohnheiten und ein lächerliches
Stolziren mit dem eitlen Flitter eines prunksüchtigen und weibischen
Ceremonienwesens. Obwohl aber die Aufgabe dieses geistig erstorbe-
nen Volkes und Staates zunächst nur das Erhalten und Aufbewahren
sein sollte, so schloß das doch die Strafgerichte nicht aus, die der
Herr von Zeit zu Zeit über das innerlich verfaulte und verrottete
Reich ergehen ließ. Es mußten immer neue und furchtbarere Stürme
die durch unaufhörliche Mordthaten, Verstümmelungen, Schändungen,
Lügen, Ränke und viehische Laster verpestete Luft reinigen, wenn das
hinsiechende Volk auch nur bis zu der von Gott vorherbestimmten Zeit
am Leben erhalten werden sollte. Daher die immerwährenden Ein-
brüche der slavischen Völker von Norden her, daher die Siege der
mohamedanischen Seldschukken in Syrien und Klein-Asien, und der
Verlust fast aller asiatischer und sämmtlicher afrikanischer Besitzungen.
Daher denn auch die vorübergehende Ueberwältigung und Zertrüm-
merung des Reichs durch die Kreuzfahrer 1204. Es waren die Ve-
netianer und ihr greiser Herzog Dandolo, welche die nach Jerusa-
lem bestimmten Schaaren auf ihren Schiffen nach Palästina überzu-
setzen versprachen, aber statt dessen mit ihnen nach Constantinopel
fuhren, um den von dort vertriebenen Kaisersohn Alerius sammt
seinem geblendeten Vater wieder auf den Thron zu setzen. Dies Vor-
haben gelang. Als aber darnach mit dem wiedereingesetzten Kaiser
selber Streit entstand über die versprochenen Geldzahlungen und die
Unterwerfung der griechischen unter die römische Kirche, da eroberten
und verwüsteten die Kreuzfahrer von ihren Schiffen aus die Stadt
Constantinopel und das ganze Land, jagten die feigen Griechen zu
Tausenden vor sich her und theilten das Land unter sich. Ein frän-
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